Da lachte Potemkin...

von

Friedrich Kiefl




Es soll niemand behaupten, die Münchner Verkehrsbetriebe seien nicht international. Vor allem der russische General und Dörferbauer Potemkin hat viele Freunde und Anhänger in der Direktion der Verkehrsbetriebe, die ihm bei jeder Gelegenheit nacheifern, wie eine Begebenheit beweist, die mir ein befreundeter Busfahrer erzählte:
Wie er erzählte, fiel dem Herrn Minister Wiesheu im Jahre 2001 ein, das er noch nie mit einem öffentlichen Bus gefahren sei. Diese Bildungslücke wollte er unbedingt schließen und er beschloss, mit der Linie 52 vom Candidplatz zum Marienplatz zu fahren.
Warum er ausgerechnet auf diese Strecke verfiel wissen wir nicht. Ebenso ist unbekannt, auf welchen Wegen die Direktion von seinen Plänen erfuhr. Ich vermute mal, es geschah durch seine Leibwächter, die in solchen Situationen natürlich in Alarmbereitschaft sind, aber mehr als eine Vermutung ist das nicht.
Aber auf welchen Wegen auch immer: Die Direktion wusste auf die Minute genau wann der Herr Minister einsteigen wollte und sie wusste auch wo.
Beseelt vom Geiste Potemkins und seiner tiefen Liebe zur Wahrheit begann man sofort mit hektischen Vorbereitungen. Schließlich konnte man einen Minister nicht in einem gewöhnlichen Linienbus fahren lassen!
Bereits zwei Tage vor dem Ereignis stellte man einen Bus ab und schrubbte ihn blitzblank. Seinen Fahrer konnte man zwar nicht schrubben (sehr zum Bedauern der Direktion), aber man machte ihm klar, das von seiner Erscheinung die Existenz der Welt, das Ansehen der Verkehrsbetriebe und das Wohlbefinden der Direktion abhinge. Nun bezweifelte unser Fahrer zwar, dass die Existenz der Welt von einem Bus in der Münchner Innenstadt abhing und über das Ansehen der Verkehrsbetriebe hatte er nach jahrelangen Erfahrungen mit den Fahrgästen so seine eigenen Ansichten, aber er überlegte sich kurz, welche Auswirkungen das Wohlbefinden der Direktion auf die Sicherheit seines Arbeitsplatzes hatte und handelte dem entsprechend...
Aber die Vorbereitungen der Direktion waren noch lange nicht abgeschlossen.
Man überlegte sich, dass der „Ministerbus“ auf seinem Weg anderen Bussen begegnete. So wurde auch hier für Sauberkeit gesorgt und alle Fahrer wurden per Dienstanweisung zu korrektestem Auftreten „ermuntert“.
Aufgrund bedauerlicher Gesetzeslücken war es unmöglich die Fahrgäste ebenfalls per Dienstanweisung zu „ermuntern“. Es wäre nicht schlimm, wenn lauter höfliche, wohlerzogene Preußen und Beamte in dem Bus sitzen würden, diese Leute wussten, wie sie sich vor einem Minister gegenüber zu benehmen hatten. Aber man war in München und allen Anstrengungen von Politikern und Beamten zum Trotz, existieren hier noch einige Baiern vom alten Schlag. Beim Gedanken so einer würde den Minister erkennen, traf die Direktoren beinahe der Schlag. So ein Baiernlackl würde ehrlich sagen, was er dachte! Dabei wusste doch jeder, das bei Ministern – wie bei Politikern und Beamten üblich – eine ausgeprägte Allergie gegen die Wahrheit bestand!
Damit stand die Direktion vor einem ernsthaften Problem:
Man musste die ministerlichen Kontakte zur Wirklichkeit auf ein Mindestmaß beschränken, ohne das es allzu sehr auffiel.
In langen Krisensitzungen produzierte man eine Idee, an der Potemkin nun wirklich seine Freude gehabt hätte:
Am Stichtag füllte man den vorbereiteten Bus einfach mit Leuten aus der Direktion, die sich als normale Fahrgäste ausgaben. Dann fuhr der Bus durch bis zum Candidplatz, hielt nirgends an und lies niemanden einsteigen.
Erst am Candidplatz, wo der Minister bereits wartete, hielt man an und öffnete die Türen.
Ab jetzt verhielt sich der Bus so, als sei er ein gewöhnlicher Linienbus. Er fuhr die vorgeschriebenen Haltestellen an und lies tatsächlich Leute einsteigen. Das war nun wirklich der kritische Punkt in der Planung – es waren ganz gewöhnliche Menschen, die da einstiegen. Es gab leider keine Möglichkeit sie ebenfalls durch Statisten zu ersetzen. Dies wurde von der Direktion aufrichtig bedauert, und man wünschte sich, man hätte Möglichkeiten wie in der DDR, aber man hatte Glück: Potemkin war mit ihnen und die Baiernlackln waren irgendwo anders.
Niemand sprach den Minister an, niemand konfrontierte ihn mit der Wahrheit oder nicht staatstragenden Ansichten, die ganze Fahrt zum Marienplatz lief ruhig und gewöhnlich ab und dort konnte Wiesheu den Bus wieder verlassen um in seine Limousine umzusteigen, die dem bus die ganze Zeit gefolgt war.
Er freute sich, dass er endlich einmal eine ganz normale Fahrt mit einem ganz normalen Linienbus gemacht hatte.
Und Potemkin saß auf seiner Wolke und freute sich, dass er in den Direktoren der Münchner Verkehrsbetrieben so gelehrige Schüler gefunden hatte.